Fichte's Vorlesungen über die Wissenschaftslehre,
gehalten zu Jena im Winter 1798-99
nachgeschrieben von K. Chr. Fr. Krause
in
Er werden darin beantwortet folgende drei Fragen:
I. Was ist Philosophie?
II. Wie wird sie im Systeme der WissenschaftsLehre behandelt?
III. Welche Veränderungen mit dem sonstigen Plane vorgenommen werden sollen und wie sie [sic] in diesen Vorle- sungen behandelt werden soll.
ad I. Es soll keine bloße Definition gegeben werden, keine bloße Formel, bei der man weiter nichts denkt; sondern es soll genetisch gezeigt werden, was Philosophie sei; das heißt, es soll dargetan werden, wie der menschliche Geist zum Philosophieren kommt.
Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme; bei dieser Annahme beruft man sich auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem man auf das Dasein von Dingen außer sich schließt. Nun ist man aber, inwiefern man sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man sei sich der Vorstel- lung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gäbe Gegenstände außer uns.
Kein Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe, sondern nur, dass er notgedrungen sei, so etwas anzunehmen. Das Bewusstsein geht nur auf das, was in ihm vorkommt, aber dies sind Vorstellungen. -
Damit begnügen wir uns aber nicht, sondern machen schnell einen Unterschied zwischen Vorstellungen und dem Objekt, und sagen, außer der Vorstellung liege noch etwas Wirkliches. Sobald wir auf den Unterschied der Vorstel- lung und des Objekts aufmerksam werden, sagen wir, es sei beides da. Alle vernünftigen Wesen (auch der Idealist und Egoist, wenn er nicht auf dem Katheder steht) behaupten immerfort, dasss eine wirkliche Welt da sei.
Wer sich zum Nach-//4//denken über diese Erscheinung in der menschlichen Seele erhoben hat, muss sich verwun- dern, da hier eine scheinbare Inkonsequenz ist. Man werfe sich als die Frage auf: Wie kommen wir dazu anzuneh- men, dass noch außer unsrer Vorstellung wirkliche Dinge da seien? Viele Menschen werfen sich diese Frage nicht auf, entweder weil sie den Unterschied nicht bemerken, oder weil sie zu gedankenlos sind. Wer aber diese Frage aufwirft, der erhebt sich zum Philosophieren; diese Frage zu beantworten ist der Zweck des Philosophierens, und die Wissenschaft, die sie beantwortet, ist die Philosophie.
Ob es wirklich eine solche Wissenschaft gibt, bleibe vor der Hand noch unentschieden; dass aber viele Bemühungen angewandt worden sind, diese Frage zu beantworten, ist bekannt, denn von je her war sie die Aufgabe der Philosophie. Nur sind die Philosophen bei ihrer Beantwortung meist einseitig zu Werke gegangen, daher denn auch die Antwort einseitig ausfallen musste. Man glaubt z. B., man hätte nur zu fragen, ob Gottheit, Unsterblichkeit, Freiheit sei; das heißt, ob den Vorstellungen davon etwas Wirkliches außer ihnen entspreche. Aber die Frage der Philosophie ist nicht, haben diese einzelnen Vorstellungen, sondern haben unsere Vorstellungen überhaupt Realität?
Objektive Gültigkeit ist das, wo man behauptet, dass außer der Vorstellung noch etwas sei. Die Objektivität der Gottheit untersuchen heißt prüfen, ob Gott ein bloßer Gedanke sei, oder ob diesem Gedanken noch etwas außer ihm entspreche. Die Frage nach der Objektivität der Welt ist ebenso interessant als die nach der Objektivität der Gottheit und der Unsterblichkeit, und wenn man die erste Frage nicht beantwortet, kann man die beiden letzten auch nicht beantworten.
Eine Philosophie ist also wenigstens denkbar. Nämlich es ist denkbar, dass man nach der Objektivität unserer Vorstellungen frage, und es ist würdig, dass das Vernunftwesen über ihre Beantwortung nachdenke. Die Idee der Philosophie ist also erwiesen, die Wirklichkeit derselben kann aber nicht anders erwiesen werden als dadurch, dass ein System derselben wirklich aufgestellt werde.
So wie der menschliche Geist diese Frage aufwerfen kann, so kann er auch viele andere aufwerfen und sie beantworten //5// oder zu beantworten suchen. Geschieht diese Beantwortung nach bestimmten Gesetzen, so wird räsoniert und es entsteht Wissenschaft, aber nicht darum Philosophie, welche bloß in Beantwortung obiger Frage besteht.
ad II. Man philosophierte schon frühe, aber nur dunkel; es lag noch kein deutlicher Begriff zu Grunde. Die Skeptiker warfen vorzüglich die Frage auf, ob wohl unsere Vorstellungen objektive Gültigkeit hätten. Durch Hume, einen der größten Skeptiker, wurde Kant geweckt. Letzterer aber stellte kein System auf, sondern schrieb nur Kritiken, d. h. vorläufige Untersuchungen über die Philosophie. Wenn man aber das, was Kant besonders in der Kritik der reinen Vernunft sagt, in ein System fasst, so sieht man, dass er die Frage der Philosophie sich richtig gedacht hat. Er drückt sie so aus: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich, und beantwortet sie so: Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, gewisse Gesetze, nach denen sie Vernunft handelt in der Hervorbringung der Vorstellungen; was durch diese Notwendigkeit, durch diese Gesetze zu Stande gebracht wird, hat objektive Gültigkeit. Also von Dingen an sich, von einer Existenz ohne Beziehung auf ein Vorstellendes ist bei Kant nicht die Rede. Es war ein großer Missverstand, dass man das, was Kant in seinen Kritiken vortrug, für System hielt. Gegen die, die dies glauben, lässt sich folgendes einwenden:
1) Das gesamte Handeln des menschlichen Geistes und die Gesetze dieses Handelns sind bei Kant nicht systematisch aufgestellt, sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen. Man kann daher nicht sicher sein
A) dass diese Gesetze des notwendigen Handelns des menschlichen Geistes erschöpft sind, weil er sie nicht bewiesen hat;
B) wie weit ihre Gültigkeit sich erstrecke;
C) Die merkwürdigen Äußerungen des menschlichen Geistes: Denken, Wollen, Lust oder Unlustempfinden sind nach Kant nicht aufs erste zurückgeführt, sondern sind koordiniert.
2) Das, worauf es hauptsächlich ankommt, nämlich zu beweisen, dass und wie unsern Vorstellungen objektive Gültigkeit zukomme, ist nicht geschehen. Die Kantische Phi-//6//losophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
In wiefern kann man es nun bei so einer Philosophie bewenden lassen und in wie fern nicht, und warum muss weiter gegangen werden? Wer sich unbefangen seiner Vernunft hingibt, der bedarf keiner Philosophie. Wäre es daher nicht besser, wenn man der Philosophie ganz entbehrte, und nicht vielmehr einem, der sich seiner Vernunft nicht unbefangen mehr hingibt, zu raten, dass er sich an den Glauben an die Wahrheit seines Bewusstseins halten möge?
Wenn der Mensch unbefangen seinem Bewusstsein glaubt, so tut er gut, aber die Bestimmung des Menschen ist es nicht, sie geht unaufhörlich fort auf gegründete Erkenntnis, der Mensch wird unaufhörlich getrieben, nach gründlicher Überzeugung zu forschen, und derjenige, der sich einmal zu philosophischem Zweifel verstiegen hat, lässt sich nicht mehr zurückweisen, er sucht sich immer seine Zweifel zu lösen. Es entsteht in dem Menschen ein peinlicher Zustand, der seine innere Ruhe und sein äußeres Handeln stört und sonach praktisch schädlich ist.
Der Idealist, der die Körperwelt leugnet, stützt sich doch unaufhörlich auf diese ebenso, wie der, der ihre Wirklichkeit glaubt. Dieser Zweifel des Idealisten hat nicht unmittelbare Folgen auf das Leben, allein es ist doch unanständig, dass seine Theorie mit seiner Praxis in Widerspruch stehe. Auch an dem Glauben an Gott und die Unsterblichkeit kann man durch Skeptizismus irre gemacht werden, und dies hat Folgen auf die innere Ruhe und Lage. Man kann zwar durch eine unvollständige und seichte Philosophie auf einige Zeit beruhigt werden. Findet man aber diese einst als unzureichend, so entsteht ein Zweifel an der Möglichkeit des Philosophierens selbst, und dies versetzt den Menschen in noch größere Unruhe.
Aber der Mensch ist auch nicht bestimmt, sich damit begnügen zu lassen. Er ist bestimmt zu vollständiger und systematischer Kenntnis. Es ist nicht genug, dass unsere Zweifel glöst und dass wir zur Ruhe verwiesen sind, wir wollen auch Wissenschaft. Es ist ein Bedürfnis der Menschen nach Wissenschaft, und die Wissenschaftslehre macht sich anheischig, dies Bedürfnis zu befriedigen.
Also die Resultate der Wissenschaftslehre sind mit denen der Kantischen Philososphie dieselben, nur die Art, sie zu begründen, ist in jener eine ganz andere. Die Gesetze des menschlichen Denkens sind bei Kant nicht streng wissenschaftlich abgeleitet, dies soll aber in der Wissenschaftslehre geschehen. In dieser werden abgeleitet die Gesetze des endlichen Vernunftwesens überhaupt; im Kantischen System werden bloß aufgestellt die Gesetze des Menschen, weil es bloß auf Erfahrung beruht, diese werden in der Wissenschaftslehre bewiesen.
Ich beweise jemandem etwas heißt, ich bringe ihn dazu, dass er annehme, dass er irgendeinen Satz schon zugegeben habe, indem er die Wahrheit irgendeines anderen vorher zugegeben hatte. Jeder Beweis setzt also bei dem, dem er bewiesen werden soll, schon etwas Bewiesenes voraus, und zwei, die über nichts einig sind, können einander auch nichts beweisen.
Da nun die Wissenschaschaftslehre beweisen will die Gesetze, nach denen das endliche Vernunftwesen bei Hervorbringung seiner Erkenntnis verfährt: so muss sie dies an etwss knüpfen, und da sie unser [Wissen?] begründen will, an etwas, das jedermann zugibt. Gibt es so etwas nicht, so ist systematische Philosophie unmöglich.
Die WissenschaftsLehre fordert jeden auf, zu überlegen, was er tut, wenn er sagt: Ich. Von diesem behauptet die WissenschaftsLehre, dass er dadurch annehme ein Setzen seiner selbst, das er sich setze als Subjekt-Objekt. Man kann Ich nicht denken ohne dies. Dadurch nun, durch die Identität des Setzenden und Gesetzten, ist der Begriff der Ichheit, wie ihn die Wissen-//8//schaftsLehre postuliert, völlig erschöpft. Es wird hier nicht mit hineingezogen, was man sonst beim Setzen seiner selbst denken möchte.
Wer dies nicht zugäbe, mit dem könnte die WissenschaftsLehre nichts anfangen; dies ist das erste, was die Wissenschaftslehre jedem anmutet. Weiter mutet sie an, auch einmal in sein Bewusstsein hineinzugehen, und behauptet, dass man finden werde: dass man sich nicht nur selbst setze, sondern dass man sich auch noch etwas entgegensetze. Dieses Entgegengesetzte wird, weil von ihm nichts weiter behauptet wird, als dass es dem Ich entgegengesetzt ist, auch NichIch genannt. Man kann es noch nicht Objekt oder Welt nennen, da erst bewiesen werden muss, wie es zum Objekte und zur Welt werden; sonst wäre die Philosophie Popularphilosophie.
Aus diesem Vorausgesetzten wird alles Übrige abgeleitet. Die Wissenschaftslehre behauptet, dass alles, was daraus folge, für alle endlichen Vernunftwesen gültig sei.
Nun stellt die WissenschaftsLehre die Bedingungen auf, unter welchen das Ich sich selbst setzt und sich ein NichtIch entgegensetzt, und darin liegt der Beweis ihrer Richtigkeit. Diese Bedingungen sind ursprüngliche Handelsweisen des menschlichen Geistes. Was dazu gehört, dass das Ich sich selbst setzen und sich ein NichtIch entgegensetzen könne, ist notwendig. Diese Bedingungen beweist die WisenschaftsLehre durch Deduktion.
Der Beweis durch Deduktion geht so: Wir können es als Wesen des menschlichen Geistes annehmen, dass das Ich sich setze und sich ein NichtIch entgegensetze; nehmen wir aber dies an, so müssen wir noch manches andere annehmen. Dies heißt deduzieren, von etwas anderm ableiten. Kant sagt: Ich verfahret nur immer nach den Kategorien; die Wissenschaftslehre aber sagt: So gewiss ihr euch als Ich setzt, müsst ihr so verfahren. In den Resultaten sind beide einig, nur knüpft die WissenschaftsLehre noch an etwas Höheres an.
1) Die WissenschaftsLehre sucht sonach den Grund von allem Denken, das für uns da ist, in dem inneren Verfahren des endlichen Vernunftwesens überhaupt. Sie wird sich kurz so ausdrücken: Das Wesen der Vernunft besteht darin, dass ich mich selbst setze, aber das kann ich nicht, ohne mir eine //9// Welt, und zwar eine bestimmte Welt entgegenzusetzen, die im Raume ist und deren Erscheinungen in der Zeit aufeinander folgen. Dies alles geschieht in einem ungeteilten Moment; da Eins geschieht, geschieht zugleich alles Übrige.
Aber die Philosophie und besonders die Wissenschaftslehre will diesen Einen Akt genau kennen lernen. Nun aber lernt man nichts genau kennen, wenn man es nicht zerlegt und zergliedert. So macht es also auch die Wissenschaftslehre mit dieser Einen Handlung des Ich, und wir bekommen eine Reihe miteinander verbundener Handlungen des Ich - darum, weil wir die Eine Handlung nicht auf einmal fassen können; weil der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss.
Dadurch nun wird das Bedürfnis nach Wissenschaft befriedigt; wir haben nicht bloß eine diskursive, aus der Erfahrung aufgeraffte, sondern eine systematische Erkenntnis, in der sich alles von einem Punkte ableiten lässt und mit diesem zusammenhängt. Der menschliche Geist strebt nach Erkenntnis, und darum soll er diesem Streben nachfolgen: Wer sagt, dass die Erlangung derselben unmötlich sei, sagt bloß, dass sie ihm eben unmöglich sei. - Diese Methode hat nun Vorzüge in Absicht der Deutlichkeit; denn das ist allemal deutlicher, was in sich zusammenhängt, wo man aus einem alles leicht übersehen kann, als wenn man mehreres zerstreut auffassen muss.
Kant hat die Frage: Wie kommen wir dazu, gewissen Vorstellungen objektive Gültigkeit beizumessen, nicht be- antwortet. Die Wissenschaftslehre leistet dies. Wir schreiben einer Vorstellung objektive Gültigkeit zu, wenn wir behaupten, dass unabhängig von der Vorstellung noch ein Ding da sei, das der Vorstellung entspreche. Beide sind so verschieden: Die Vorstellung habe ich hervorgebracht, das Ding aber nicht. Nun behauptet die Wissenschaftslehre: Mit Vorstellungen, welche notwendig in uns sein sollen, verhält es sich so, dass wir annehmen müssen, dass ihnen etwas Äußeres entspreche; und dies zeigt sie genetisch.
Es gibt zwei Haupthandlungen des Ich; die eine, wodurch es sich selbst setzt und alles, was dazu erforderlich ist, also die ganze Welt. Die zweite ist ein abermaliges Setzen desjenigen, was durch jene erste Handlung schon gesetzt ist. Es gibt also ein //10// ursprüngliches Setzen des Ich und der Welt und ein Setzen des schon Gesetzten, das erste macht das Bewusstsein erst möglich und kann daher darin nicht vorkommen; das zweite aber ist das Bewusstsein selbst. Das zweite setzt sonach das erste voraus. Im zweiten wird sonach etwas gefunden, das ohne das Ich vorhanden, worauf das Ich reflektiert. Das erste, dessen Resultat das Ding ist; dadurch zeigt sich, was eigentlich Produkt des Ich ist.
Es wäre sonach zu unterscheiden eine ursprüngliche Thesis oder, da in ihr ein Mannigfaltiges gesetzt wird, eine ursprüngliche Synthesis, von der Analysis, wenn nämlich wieder auf das reflektiert wird, was in der ursprünglichen Synthesis liegt. Die gesamte Erfahrung ist nun bloße Analysis dieser ursprünglichen Synthesis. Das ursprüng- liche Setzen kann nicht im wirklichen Bewusstsein vorkommen, weil es erst die Bedingung der Möglichkeit alles Bewusstseins ist.
Dies ist der kurze Inbegriff, das Wesen und der Charakter der Wissenschaftslehre.
ad III. 1.) Die Untersuchungen der Wissenschaftslehre sollen [in diesen Vorlesungen] auf Neue angestellt werden, als wenn sie noch nie aufgestellt wären. Die Bearbeitung wird dadurch gewinnen, denn seit der ersten Bearbeitung sind die Prinzipien weiter fortgeführt worden, und dies gibt eine klarere Einsicht derselben. Auch fand Dozent dadurch, dass er mit den verschiedenartigsten Köpfen darüber sprach, woran es bei manchem lag, dass die Sätze noch nicht einleuchteten. Doch wird auch auf die erste Darstellung Rücksicht genommen werden.
2) Die erste Darstellung ist dadurch etwas beschwerlich worden, weil die Bedingung der Möglichkeit der Sätze nicht in der natürlichen Ordnung, sondern in einem theoretischen und praktischen Teil abgehandelt wurden; dadurch sind nun Dinge, die unmittelbar in einander eingreifen, zu weit von einander gerissen, welches nun nicht mehr geschehen soll.
Dann sollen noch ausdrücklich und gründlich abgehandelt werden die Reflexionsgesetze in Vereinigung und Verbindung mit dem, was daraus entsteht. (Dieses Versprechen konnte wegen Mangel an Zeit nicht erfüllt werden.) Reflektieren heißt seine ideale Tätigkeit auf etwas richten; dies geschieht nur //11// nach gewissen Gesetzen, und dadurch wird das Objekt der Reflexion so und nicht anders.
Dozent leitet in seinen Vorlesungen ein bestimmtes Denken, und wer nicht mitdenkt, der erhält nichts; nur der, der mitdenkt, kann Nutzen haben. Für die, die nicht selbst mitdenken, möchte er seinen Vortrag in Arabisch machen.
gehalten zu Jena im Winter 1798-99
nachgeschrieben von K. Chr. Fr. Krause
in
Felix Meiner Verlag Hamburg
(1982)
(1982)
//S. 3//
ERSTE EINLEITUNG
(vorgetragen in den öffentlichen Vorlesungen)
Er werden darin beantwortet folgende drei Fragen:
I. Was ist Philosophie?
II. Wie wird sie im Systeme der WissenschaftsLehre behandelt?
III. Welche Veränderungen mit dem sonstigen Plane vorgenommen werden sollen und wie sie [sic] in diesen Vorle- sungen behandelt werden soll.
ad I. Es soll keine bloße Definition gegeben werden, keine bloße Formel, bei der man weiter nichts denkt; sondern es soll genetisch gezeigt werden, was Philosophie sei; das heißt, es soll dargetan werden, wie der menschliche Geist zum Philosophieren kommt.
Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme; bei dieser Annahme beruft man sich auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem man auf das Dasein von Dingen außer sich schließt. Nun ist man aber, inwiefern man sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man sei sich der Vorstel- lung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gäbe Gegenstände außer uns.
Kein Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe, sondern nur, dass er notgedrungen sei, so etwas anzunehmen. Das Bewusstsein geht nur auf das, was in ihm vorkommt, aber dies sind Vorstellungen. -
Damit begnügen wir uns aber nicht, sondern machen schnell einen Unterschied zwischen Vorstellungen und dem Objekt, und sagen, außer der Vorstellung liege noch etwas Wirkliches. Sobald wir auf den Unterschied der Vorstel- lung und des Objekts aufmerksam werden, sagen wir, es sei beides da. Alle vernünftigen Wesen (auch der Idealist und Egoist, wenn er nicht auf dem Katheder steht) behaupten immerfort, dasss eine wirkliche Welt da sei.
Wer sich zum Nach-//4//denken über diese Erscheinung in der menschlichen Seele erhoben hat, muss sich verwun- dern, da hier eine scheinbare Inkonsequenz ist. Man werfe sich als die Frage auf: Wie kommen wir dazu anzuneh- men, dass noch außer unsrer Vorstellung wirkliche Dinge da seien? Viele Menschen werfen sich diese Frage nicht auf, entweder weil sie den Unterschied nicht bemerken, oder weil sie zu gedankenlos sind. Wer aber diese Frage aufwirft, der erhebt sich zum Philosophieren; diese Frage zu beantworten ist der Zweck des Philosophierens, und die Wissenschaft, die sie beantwortet, ist die Philosophie.
Nota.
Die Wissenschaftslehre hebt nicht an bei der Frage, ob es eine Wirklichkeit gäbe außer der Vorstellung, sondern warum jeder
vernünftige Mensch davon ausgeht, dass es so sei. Die erste Frage wäre
metaphysisch, die zweite ist transzendental. Und nur die zweite ist
daher vernünftig. Dass es so sei ist also die Voraussetzung, aus
der die Transzendentalphilosophie nicht heraustreten kann, ohne die
Vernunft zu verlassen. Auf der ersten semantischen Ebene ist auch sie realistisch. Idealistisch ist sie erst auf der zweiten Ebene, der Reflexion der Vernunft auf sich selbst
JE
Ob es wirklich eine solche Wissenschaft gibt, bleibe vor der Hand noch unentschieden; dass aber viele Bemühungen angewandt worden sind, diese Frage zu beantworten, ist bekannt, denn von je her war sie die Aufgabe der Philosophie. Nur sind die Philosophen bei ihrer Beantwortung meist einseitig zu Werke gegangen, daher denn auch die Antwort einseitig ausfallen musste. Man glaubt z. B., man hätte nur zu fragen, ob Gottheit, Unsterblichkeit, Freiheit sei; das heißt, ob den Vorstellungen davon etwas Wirkliches außer ihnen entspreche. Aber die Frage der Philosophie ist nicht, haben diese einzelnen Vorstellungen, sondern haben unsere Vorstellungen überhaupt Realität?
Objektive Gültigkeit ist das, wo man behauptet, dass außer der Vorstellung noch etwas sei. Die Objektivität der Gottheit untersuchen heißt prüfen, ob Gott ein bloßer Gedanke sei, oder ob diesem Gedanken noch etwas außer ihm entspreche. Die Frage nach der Objektivität der Welt ist ebenso interessant als die nach der Objektivität der Gottheit und der Unsterblichkeit, und wenn man die erste Frage nicht beantwortet, kann man die beiden letzten auch nicht beantworten.
Eine Philosophie ist also wenigstens denkbar. Nämlich es ist denkbar, dass man nach der Objektivität unserer Vorstellungen frage, und es ist würdig, dass das Vernunftwesen über ihre Beantwortung nachdenke. Die Idee der Philosophie ist also erwiesen, die Wirklichkeit derselben kann aber nicht anders erwiesen werden als dadurch, dass ein System derselben wirklich aufgestellt werde.
So wie der menschliche Geist diese Frage aufwerfen kann, so kann er auch viele andere aufwerfen und sie beantworten //5// oder zu beantworten suchen. Geschieht diese Beantwortung nach bestimmten Gesetzen, so wird räsoniert und es entsteht Wissenschaft, aber nicht darum Philosophie, welche bloß in Beantwortung obiger Frage besteht.
ad II. Man philosophierte schon frühe, aber nur dunkel; es lag noch kein deutlicher Begriff zu Grunde. Die Skeptiker warfen vorzüglich die Frage auf, ob wohl unsere Vorstellungen objektive Gültigkeit hätten. Durch Hume, einen der größten Skeptiker, wurde Kant geweckt. Letzterer aber stellte kein System auf, sondern schrieb nur Kritiken, d. h. vorläufige Untersuchungen über die Philosophie. Wenn man aber das, was Kant besonders in der Kritik der reinen Vernunft sagt, in ein System fasst, so sieht man, dass er die Frage der Philosophie sich richtig gedacht hat. Er drückt sie so aus: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich, und beantwortet sie so: Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, gewisse Gesetze, nach denen sie Vernunft handelt in der Hervorbringung der Vorstellungen; was durch diese Notwendigkeit, durch diese Gesetze zu Stande gebracht wird, hat objektive Gültigkeit. Also von Dingen an sich, von einer Existenz ohne Beziehung auf ein Vorstellendes ist bei Kant nicht die Rede. Es war ein großer Missverstand, dass man das, was Kant in seinen Kritiken vortrug, für System hielt. Gegen die, die dies glauben, lässt sich folgendes einwenden:
1) Das gesamte Handeln des menschlichen Geistes und die Gesetze dieses Handelns sind bei Kant nicht systematisch aufgestellt, sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen. Man kann daher nicht sicher sein
A) dass diese Gesetze des notwendigen Handelns des menschlichen Geistes erschöpft sind, weil er sie nicht bewiesen hat;
B) wie weit ihre Gültigkeit sich erstrecke;
C) Die merkwürdigen Äußerungen des menschlichen Geistes: Denken, Wollen, Lust oder Unlustempfinden sind nach Kant nicht aufs erste zurückgeführt, sondern sind koordiniert.
2) Das, worauf es hauptsächlich ankommt, nämlich zu beweisen, dass und wie unsern Vorstellungen objektive Gültigkeit zukomme, ist nicht geschehen. Die Kantische Phi-//6//losophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
Nota.
- Kants
Induktion führt ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material
'aufgefunden' und stellt sie zusammen; nebeneinander. Aber schon,
weshalb es genau diese zwölf sein müssen, wird nicht demonstriert und
nicht deduziert. Schon gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es
sind vier mal drei, das sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants
Kategorien nicht für sich.
JE
In wiefern kann man es nun bei so einer Philosophie bewenden lassen und in wie fern nicht, und warum muss weiter gegangen werden? Wer sich unbefangen seiner Vernunft hingibt, der bedarf keiner Philosophie. Wäre es daher nicht besser, wenn man der Philosophie ganz entbehrte, und nicht vielmehr einem, der sich seiner Vernunft nicht unbefangen mehr hingibt, zu raten, dass er sich an den Glauben an die Wahrheit seines Bewusstseins halten möge?
Wenn der Mensch unbefangen seinem Bewusstsein glaubt, so tut er gut, aber die Bestimmung des Menschen ist es nicht, sie geht unaufhörlich fort auf gegründete Erkenntnis, der Mensch wird unaufhörlich getrieben, nach gründlicher Überzeugung zu forschen, und derjenige, der sich einmal zu philosophischem Zweifel verstiegen hat, lässt sich nicht mehr zurückweisen, er sucht sich immer seine Zweifel zu lösen. Es entsteht in dem Menschen ein peinlicher Zustand, der seine innere Ruhe und sein äußeres Handeln stört und sonach praktisch schädlich ist.
Der Idealist, der die Körperwelt leugnet, stützt sich doch unaufhörlich auf diese ebenso, wie der, der ihre Wirklichkeit glaubt. Dieser Zweifel des Idealisten hat nicht unmittelbare Folgen auf das Leben, allein es ist doch unanständig, dass seine Theorie mit seiner Praxis in Widerspruch stehe. Auch an dem Glauben an Gott und die Unsterblichkeit kann man durch Skeptizismus irre gemacht werden, und dies hat Folgen auf die innere Ruhe und Lage. Man kann zwar durch eine unvollständige und seichte Philosophie auf einige Zeit beruhigt werden. Findet man aber diese einst als unzureichend, so entsteht ein Zweifel an der Möglichkeit des Philosophierens selbst, und dies versetzt den Menschen in noch größere Unruhe.
Nota.
- F. nimmt hier die Einwände vorweg, die Jacobi kurz
darauf gegen die Transzendentalphilosophie selbst erheben wird; sie säe
nicht nur Zweifel, sondern pflanze vielmehr eine nihilistische
Überzeugung (die zwar wissenschaftlich erwiesen sei, aber zum Glauben an
Gott unfähig mache). Dann wird F. vor ihnen einknicken; hier ist er noch nicht dazu bereit
JE
Der
praktische Zweck nun ist, diese Zweifel zu lösen; den Menschen in
Übereinstimmung mit sich selbst zu bringen, dass er aus Überzeugung und
aus Gründen seinem Bewusstsein glaubt, wie er es vorher aus
Vernunftinstinkt tat. (Der ganze //7// Zweck
der Bildung des Menschen ist, ihn durch Arbeit zu dem zu machen, was er
vorher ohne Arbeit war.) Dieser Zweck ist in der Kantischen Philosophie
völlig erreicht, sie ist bewiesen, und jeder, der sie versteht, muss
sie für wahr halten.
Aber der Mensch ist auch nicht bestimmt, sich damit begnügen zu lassen. Er ist bestimmt zu vollständiger und systematischer Kenntnis. Es ist nicht genug, dass unsere Zweifel glöst und dass wir zur Ruhe verwiesen sind, wir wollen auch Wissenschaft. Es ist ein Bedürfnis der Menschen nach Wissenschaft, und die Wissenschaftslehre macht sich anheischig, dies Bedürfnis zu befriedigen.
Also die Resultate der Wissenschaftslehre sind mit denen der Kantischen Philososphie dieselben, nur die Art, sie zu begründen, ist in jener eine ganz andere. Die Gesetze des menschlichen Denkens sind bei Kant nicht streng wissenschaftlich abgeleitet, dies soll aber in der Wissenschaftslehre geschehen. In dieser werden abgeleitet die Gesetze des endlichen Vernunftwesens überhaupt; im Kantischen System werden bloß aufgestellt die Gesetze des Menschen, weil es bloß auf Erfahrung beruht, diese werden in der Wissenschaftslehre bewiesen.
Ich beweise jemandem etwas heißt, ich bringe ihn dazu, dass er annehme, dass er irgendeinen Satz schon zugegeben habe, indem er die Wahrheit irgendeines anderen vorher zugegeben hatte. Jeder Beweis setzt also bei dem, dem er bewiesen werden soll, schon etwas Bewiesenes voraus, und zwei, die über nichts einig sind, können einander auch nichts beweisen.
Da nun die Wissenschaschaftslehre beweisen will die Gesetze, nach denen das endliche Vernunftwesen bei Hervorbringung seiner Erkenntnis verfährt: so muss sie dies an etwss knüpfen, und da sie unser [Wissen?] begründen will, an etwas, das jedermann zugibt. Gibt es so etwas nicht, so ist systematische Philosophie unmöglich.
Nota I.
- Das
ist das Verfahren der Wissenschaftslehre: Statt freihändig Begriffe zu
definieren und daraus ein System zu bauen, sucht sie in den wirkliche
Vorstellungen der 'endlichen' Vernunftwesen die ihnen zu Grunde
liegenden anschaulichen Voraussetzungen auf, und erst, wenn sie an den
Punkt gerät, hinter den es nicht hinausgeht, kehrt sie ihren Gang um und
setzt, was sie zuvor analytisch auseinandergelgt hatte, synthetisch
wieder zusammen; daran, ob auf diesem Weg die wirkliche Vorstellungswelt
der 'endlichen Vernunftwesen' hinreichend rekonstuiert werden kann,
entscheidet sich ihre Richtigkeit.
Nota II.
- 'Der Mensch
ist bestimmt zu vollständiger und systematischer Kenntnis': woher weiß
er das? Nach seiner Lehre ist der Mensch, sofern er Vernunftwesen ist,
nur bestimmt als das, wozu er sich selbst bestimmt. Wenn er sagt 'So ist
es', kann es sich entweder um die Feststellung eines empirisch
Vorgefundenen handeln, oder um ein Postulat: 'So soll es sein.' -
Tatsächlich handelt es sich hier um beides; es ist die historisch
vorgefundene Tatsache des autonomen bürgerlichen Subjekts; und der
Entschluss des theoretischen Philosophen, dies empirisch Gegebene als
seinen praktischen Zweck anzusehen. Die Wissenschaftslehre ist die Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters.
JE
Die WissenschaftsLehre fordert jeden auf, zu überlegen, was er tut, wenn er sagt: Ich. Von diesem behauptet die WissenschaftsLehre, dass er dadurch annehme ein Setzen seiner selbst, das er sich setze als Subjekt-Objekt. Man kann Ich nicht denken ohne dies. Dadurch nun, durch die Identität des Setzenden und Gesetzten, ist der Begriff der Ichheit, wie ihn die Wissen-//8//schaftsLehre postuliert, völlig erschöpft. Es wird hier nicht mit hineingezogen, was man sonst beim Setzen seiner selbst denken möchte.
Wer dies nicht zugäbe, mit dem könnte die WissenschaftsLehre nichts anfangen; dies ist das erste, was die Wissenschaftslehre jedem anmutet. Weiter mutet sie an, auch einmal in sein Bewusstsein hineinzugehen, und behauptet, dass man finden werde: dass man sich nicht nur selbst setze, sondern dass man sich auch noch etwas entgegensetze. Dieses Entgegengesetzte wird, weil von ihm nichts weiter behauptet wird, als dass es dem Ich entgegengesetzt ist, auch NichIch genannt. Man kann es noch nicht Objekt oder Welt nennen, da erst bewiesen werden muss, wie es zum Objekte und zur Welt werden; sonst wäre die Philosophie Popularphilosophie.
Aus diesem Vorausgesetzten wird alles Übrige abgeleitet. Die Wissenschaftslehre behauptet, dass alles, was daraus folge, für alle endlichen Vernunftwesen gültig sei.
Nota.
- Wir sind hier noch nicht in der Wissenschaftslehre selbst. F. referiert vorab über die WL. Er kündigt an, was er in den folgenden Vorlesungen zu tun gedächte.
Wie alles Wissen, hat auch die Wissenschaftslehre ihre Voraussetzung. Diese ist Postulat. Doch nicht so, dass sie als theoretischer Satz (einstweilen) geglaubt werden müsste; sondern als ein Akt, den jeder selbst zu vollziehen habe. Postuliert wird nur, dass er es tue. Wenn er es tue, dann werde er finden, dass... usw.
JE
Nun stellt die WissenschaftsLehre die Bedingungen auf, unter welchen das Ich sich selbst setzt und sich ein NichtIch entgegensetzt, und darin liegt der Beweis ihrer Richtigkeit. Diese Bedingungen sind ursprüngliche Handelsweisen des menschlichen Geistes. Was dazu gehört, dass das Ich sich selbst setzen und sich ein NichtIch entgegensetzen könne, ist notwendig. Diese Bedingungen beweist die WisenschaftsLehre durch Deduktion.
Der Beweis durch Deduktion geht so: Wir können es als Wesen des menschlichen Geistes annehmen, dass das Ich sich setze und sich ein NichtIch entgegensetze; nehmen wir aber dies an, so müssen wir noch manches andere annehmen. Dies heißt deduzieren, von etwas anderm ableiten. Kant sagt: Ich verfahret nur immer nach den Kategorien; die Wissenschaftslehre aber sagt: So gewiss ihr euch als Ich setzt, müsst ihr so verfahren. In den Resultaten sind beide einig, nur knüpft die WissenschaftsLehre noch an etwas Höheres an.
1) Die WissenschaftsLehre sucht sonach den Grund von allem Denken, das für uns da ist, in dem inneren Verfahren des endlichen Vernunftwesens überhaupt. Sie wird sich kurz so ausdrücken: Das Wesen der Vernunft besteht darin, dass ich mich selbst setze, aber das kann ich nicht, ohne mir eine //9// Welt, und zwar eine bestimmte Welt entgegenzusetzen, die im Raume ist und deren Erscheinungen in der Zeit aufeinander folgen. Dies alles geschieht in einem ungeteilten Moment; da Eins geschieht, geschieht zugleich alles Übrige.
Aber die Philosophie und besonders die Wissenschaftslehre will diesen Einen Akt genau kennen lernen. Nun aber lernt man nichts genau kennen, wenn man es nicht zerlegt und zergliedert. So macht es also auch die Wissenschaftslehre mit dieser Einen Handlung des Ich, und wir bekommen eine Reihe miteinander verbundener Handlungen des Ich - darum, weil wir die Eine Handlung nicht auf einmal fassen können; weil der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss.
Nota.
- Die Deduktionen der Wissenschaftslehre sind eher Re duktionen:
Es wird nicht aus Obersätzen abgeleitet, sondern es werden Bedingungen
aufgesucht und freigelegt. Es sind faktische Implikationen: Indemich
Dieses tue, tue ich zugleich Jenes und Jenes; täte ich Jenes nicht, so
auch nicht Dieses. 'Weil aber der Philosoph ein Wesen ist, das in der
Zeit denken muss', stellt er sich diese Eine Handlung als ein
Nacheinander von mehreren Handlungen vor. - Wenn dann später im
transzendentalen Schema wie in einem Begriff die Zeit wieder ausgeschieden wird, wird lediglich der "ursprüngliche Zustand" wiederhergestellt.
JE
Dadurch nun wird das Bedürfnis nach Wissenschaft befriedigt; wir haben nicht bloß eine diskursive, aus der Erfahrung aufgeraffte, sondern eine systematische Erkenntnis, in der sich alles von einem Punkte ableiten lässt und mit diesem zusammenhängt. Der menschliche Geist strebt nach Erkenntnis, und darum soll er diesem Streben nachfolgen: Wer sagt, dass die Erlangung derselben unmötlich sei, sagt bloß, dass sie ihm eben unmöglich sei. - Diese Methode hat nun Vorzüge in Absicht der Deutlichkeit; denn das ist allemal deutlicher, was in sich zusammenhängt, wo man aus einem alles leicht übersehen kann, als wenn man mehreres zerstreut auffassen muss.
Nota.
- Das
ist nicht gerade zwingend. Dass 'es' ein Bedürfnis 'gibt', ist
einstweilen nur eine Behauptung und würde, wenn sie zuträfe, nur ein
Faktum bezeichnen; 'dass man ihm folgen soll' ist damit keinewegs
'bewiesen'. Und dass die Methode den Vorzug der Deutlichkeit hat,
beweist nicht selbst, dass sie notwendig oder richtig ist. Würde es die
Sache erforderlich machen, müsste man sich zu einer undeutlichen
Darstellung bescheiden. - Es ist aber erst eine Einleitung, und zwar die erste, noch redet er über die WL. Sie selbst sollte strenger verfahren.
Nota II.
Nota II.
- F.
gebraucht den Ausdruck 'diskursiv' im Sinne einer
Erfahrungswissenschaft, die Einzelerkenntnisse lediglich aneinander
reiht. Heute verstehen wir darunter in Gegenteil ein Verfahren, das
Eines auf zwingende Weise aus dem Vorangegangenen herleitet.
JE
JE
Kant hat die Frage: Wie kommen wir dazu, gewissen Vorstellungen objektive Gültigkeit beizumessen, nicht be- antwortet. Die Wissenschaftslehre leistet dies. Wir schreiben einer Vorstellung objektive Gültigkeit zu, wenn wir behaupten, dass unabhängig von der Vorstellung noch ein Ding da sei, das der Vorstellung entspreche. Beide sind so verschieden: Die Vorstellung habe ich hervorgebracht, das Ding aber nicht. Nun behauptet die Wissenschaftslehre: Mit Vorstellungen, welche notwendig in uns sein sollen, verhält es sich so, dass wir annehmen müssen, dass ihnen etwas Äußeres entspreche; und dies zeigt sie genetisch.
Es gibt zwei Haupthandlungen des Ich; die eine, wodurch es sich selbst setzt und alles, was dazu erforderlich ist, also die ganze Welt. Die zweite ist ein abermaliges Setzen desjenigen, was durch jene erste Handlung schon gesetzt ist. Es gibt also ein //10// ursprüngliches Setzen des Ich und der Welt und ein Setzen des schon Gesetzten, das erste macht das Bewusstsein erst möglich und kann daher darin nicht vorkommen; das zweite aber ist das Bewusstsein selbst. Das zweite setzt sonach das erste voraus. Im zweiten wird sonach etwas gefunden, das ohne das Ich vorhanden, worauf das Ich reflektiert. Das erste, dessen Resultat das Ding ist; dadurch zeigt sich, was eigentlich Produkt des Ich ist.
Es wäre sonach zu unterscheiden eine ursprüngliche Thesis oder, da in ihr ein Mannigfaltiges gesetzt wird, eine ursprüngliche Synthesis, von der Analysis, wenn nämlich wieder auf das reflektiert wird, was in der ursprünglichen Synthesis liegt. Die gesamte Erfahrung ist nun bloße Analysis dieser ursprünglichen Synthesis. Das ursprüng- liche Setzen kann nicht im wirklichen Bewusstsein vorkommen, weil es erst die Bedingung der Möglichkeit alles Bewusstseins ist.
Dies ist der kurze Inbegriff, das Wesen und der Charakter der Wissenschaftslehre.
Nota.
- Später wurde die Dialektik zu
einem mystischen Ding, einem Arkanum, in dem sich alles unterbringen
ließ, was man nicht erklären konnte oder wohlweislich nicht erklären
wollte. In ihrem Ursprung bei Fichte ist sie eine völlig rationelle
Sache: Wo immer das Denken reflektiert -
und das tut es immer, wenn es nach Gründen fragt -, beschäftigt es sich
letzten Endes mit sich selbst; und kommt daher zweimal vor: Einmal als reale, das andre Mal als ideale Tätigkeit. Und jeder Fortschritt im Denken reproduziert diese Verdoppelung immer neu.
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ad III. 1.) Die Untersuchungen der Wissenschaftslehre sollen [in diesen Vorlesungen] auf Neue angestellt werden, als wenn sie noch nie aufgestellt wären. Die Bearbeitung wird dadurch gewinnen, denn seit der ersten Bearbeitung sind die Prinzipien weiter fortgeführt worden, und dies gibt eine klarere Einsicht derselben. Auch fand Dozent dadurch, dass er mit den verschiedenartigsten Köpfen darüber sprach, woran es bei manchem lag, dass die Sätze noch nicht einleuchteten. Doch wird auch auf die erste Darstellung Rücksicht genommen werden.
2) Die erste Darstellung ist dadurch etwas beschwerlich worden, weil die Bedingung der Möglichkeit der Sätze nicht in der natürlichen Ordnung, sondern in einem theoretischen und praktischen Teil abgehandelt wurden; dadurch sind nun Dinge, die unmittelbar in einander eingreifen, zu weit von einander gerissen, welches nun nicht mehr geschehen soll.
Dann sollen noch ausdrücklich und gründlich abgehandelt werden die Reflexionsgesetze in Vereinigung und Verbindung mit dem, was daraus entsteht. (Dieses Versprechen konnte wegen Mangel an Zeit nicht erfüllt werden.) Reflektieren heißt seine ideale Tätigkeit auf etwas richten; dies geschieht nur //11// nach gewissen Gesetzen, und dadurch wird das Objekt der Reflexion so und nicht anders.
Dozent leitet in seinen Vorlesungen ein bestimmtes Denken, und wer nicht mitdenkt, der erhält nichts; nur der, der mitdenkt, kann Nutzen haben. Für die, die nicht selbst mitdenken, möchte er seinen Vortrag in Arabisch machen.
Nota.
- Die Grundlage der gesamtem Wissenschaftslehre war
entstanden als Begleittext zu Fichtes erstem Vortrag der WL in Jena
1793-94, der bogenweise nach und nach an die Hörer ausgegeben wurde. Das
merkt man ihr immer noch an, dass sie noch im Verlauf der Vorlesungen
ausgearbeitet wurde. Namentlich die konventionelle Unterteilung in
erstens einen theoretischen und zweitens einen praktischen Teil ist
verwirrend. Den theoretischen Teil vielmehr aus dem Praktischen hervorgehen zu lassen, war die Hauptaufgabe der WL nova methodo.
Die obige Bemerkung "Dieses Versprechen konnte wegen Mangel an Zeit..." verweist darauf, dass Krauses Reinschrift erst nach dem Abschluss der Vorlesungen im März 1799 zu Papier gebracht wurde. Wegen des Atheismusstreits stand F. am Ende des Vortrags unter Zeitdruck.
JE
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